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AG 60plus Rhein-Neckar

15.09.2024 in Aktuelles

Gespräch mit Nils Schmid, MdB

 

 

Von Nils Schmid

Sozialdemokratische Außenpolitik in der Zeitenwende
 

Nils, du bist seit 2018 außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Konntest du dir damals vorstellen, dass wieder ein SPD-Kanzler für die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland wirbt?

Als Kind der „Generation 1989“ war ich geprägt von Gorbatschows Perestroika. Wir hatten die Hoffnung, dass der Kalte Krieg endet, Atomwaffen verschwinden und wir die „Friedensdividende“ für Soziales, Umwelt und Modernisierung einsetzen könnten. Rund 30 Jahre später war schon längst erkennbar, dass es nicht immer nur aufwärts gehen und alle Konflikte verschwinden würden. Jetzt müssen wir den Tatsachen von Heute ins Auge schauen. Ohne das Wünschenswerte zu vergessen, muss sich politisches Handeln an den Realitäten orientieren. Spätestens mit der russischen Invasion der Ukraine sind wir in ein neues Zeitalter der Bedrohung europäischer und deutscher Sicherheit eingetreten. Olaf Scholz hat dafür den Begriff Zeitenwende geprägt. Die SPD und der Kanzler werden dem gerecht – auch mit dieser Stationierung.  

Man hat den Eindruck, dass das nur in der SPD so heftig diskutiert wird. Warum ist das so?

Weil die SPD immer noch die Friedenspartei ist! Viele in der SPD sind geprägt von der Friedensbewegung und den Debatten um die Nachrüstung unter Helmut Schmidt. Zunächst ist ganz wichtig: Die Raketen, von denen jetzt die Rede ist, sind rein konventionelle Waffen und können nicht nuklear nachgerüstet werden. Hier von einer nuklearen Eskalation zu reden, geht also an den Tatsachen vorbei. Was oft übersehen wird, ist, dass es einen entscheidenden Unterschied zur Debatte der 1980er Jahre gibt. Die Machthaber im Kreml waren – bei aller ideologischen Verblendung – verlässliche Verhandlungspartner. Einigungen waren sehr schwierig, dann aber weitgehend verlässlich. Putin hingegen hat sieben Tage vor dem Überfall auf die Ukraine Scholz und anderen Regierungschefs ins Gesicht gelogen, er habe überhaupt kein Interesse an einem Einmarsch. Putin droht nicht nur, er führt Krieg. Anders als die Sowjetunion ist Putins Russland eine revisionistische Macht, will also – auch mit militärischer Gewalt – Grenzen in Europa verändern. Zudem hat Putin in Kaliningrad Atomraketen aufgestellt, die Deutschland erreichen können. Dem muss man sich stellen.

Hältst du es wirklich für vorstellbar, dass Russland Deutschland angreift?

Ja, schon jetzt ist Deutschland Ziel russischer hybrider Kriegsführung durch Desinformation und Mordanschläge auf deutschem Boden. Außerdem stellt Putin die Souveränität vieler unserer NATO-Verbündeten und vieler anderer Staaten offensiv in Frage. Deshalb ist es wichtig, unsere Verteidigung zu stärken. Diese Entscheidung ist auch von unseren internationalen Partnern sehr begrüßt worden, weil wir sie mitschützen.

Also Aufrüstung statt Friedensinitiativen?

Nein, so einfach ist es nicht. Vor allem ist das kein Gegensatz. Alle in der SPD wollen Frieden – das sollten wir uns bei jeder Debatte vor Augen halten. Wir als Sozialdemokraten übernehmen Verantwortung dafür, dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss. Das ist die Grundlage all unserer politischen Entscheidungen. Wir stellen einerseits die nötige Verteidigungsfähigkeit Deutschlands wieder her und bemühen uns gleichzeitig auf dem diplomatischen Wege den Frieden zu finden.

Wie könnte das aussehen?

Die SPD wirbt dafür, dass wir über Formate nachdenken, wie man mit Russland wieder über Abrüstung sprechen kann. Aber das wird nur aus einer Position der Stärke funktionieren. Die traurige Wahrheit ist doch: Moskau hat seit gut einem Jahrzehnt massiv aufgerüstet und jegliches Gesprächsangebot zur Rüstungskontrolle ausgeschlagen. Russland hat sein Waffenarsenal in den letzten Jahren nuklear wie konventionell umfassend modernisiert und näher an NATO-Gebiet herangerückt. Putin wird nicht von sich aus abrüsten – im Gegenteil.

Was bedeutet das für den Krieg in der Ukraine?

Auch hier ist es so. Natürlich wird der Krieg am Ende am Verhandlungstisch enden. Aber erst, wenn Putin an den Punkt kommt, dass er seine Ziele militärisch nicht erreichen kann. Deshalb haben wir die paradoxe Situation, dass mehr militärische Unterstützung für die Ukraine den Krieg verkürzt. Aktuell signalisiert die russische Führung keinerlei Verhandlungsbereitschaft. Doch sobald Moskau realisiert, dass die Ukraine und ihre Unterstützer in ihrer Verteidigung nicht nachlassen, wird der Moment für diplomatische Verhandlungen kommen. Waffenlieferungen und Diplomatie schließen sich nicht aus.

Viele sagen, dass der Krieg dadurch verlängert wird.

Niemand möchte den Frieden mehr als die Ukrainerinnen und Ukrainer. Wir unterstützen den Zehn-Punkte-Plan für den Frieden von Präsident Selensky. Ein Diktatfrieden würde Russlands Überfall legitimieren und einen gefährlichen Präzedenzfall setzen. Wir wollen jedoch in einer Welt leben, in der die Stärke des Rechts gilt, nicht das Recht des Stärkeren. Ich finde immer noch beeindruckend, mit welchem Mut und welcher Entschlossenheit sich die ukrainische Bevölkerung seit über 30 Monaten verteidigt. Nicht weil sie gerne Krieg führt, sondern weil sie ihre Heimat, ihre Freiheit und ihre Menschenrechte nicht verlieren will. Sie hat den Krieg nicht zu verantworten. Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands, in dem sich Putin und seine Schergen abertausender Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben. Wer den Stopp von Waffenlieferungen fordert, sollte sich das bewusst machen. Was dann folgt, ist vielleicht Kriegsende, aber sicher kein Frieden.

Ein anderer Krieg tobt in Gaza. Besteht hier Hoffnung auf Frieden?

Man darf die Hoffnung sowieso nie aufgeben! Momentan fehlt es auf beiden Seiten an Empathie wie auch an Bereitschaft zur Differenzierung. Die Israelis verweisen auf den brutalen Angriff der Hamas, und das findet wenig Resonanz in der arabischen Welt. Die Palästinenser verweisen auf jahrelange systematische Unterdrückung und Entrechtung, die aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit geraten sind. Wir sollten die Kraft aufbringen, Empathie für das Leid auf beiden Seiten zu zeigen, ohne zu verwischen, dass die Verantwortung für den Terrorangriff bei Hamas liegt und Israel sich selbstverständlich gegen Terroristen verteidigen muss.

Das ist aber noch kein Ausweg aus dem Konflikt.

Um aus der Spirale der Gewalt auszusteigen, braucht es zwei Dinge. Zum einen sehr schnell eine Feuerpause zur Freilassung der Geiseln und zur Linderung der katastrophalen Lage der Zivilbevölkerung in Gaza. Das muss verknüpft werden mit einem politischen Angebot, das Sicherheit für beide Seiten schafft. Dazu sollte die Normalisierung der Beziehungen Israels zu den arabischen Staaten gehören, aber eben auch die Anerkennung eines Staates Palästinas. Die endgültigen Grenzen müssen in den Verhandlungen geklärt werden, aber zu Beginn sollte von allen Parteien anerkannt werden, was das Ziel der Verhandlungen ist: ein palästinensischer Staat, der so konstruiert ist, dass er Israel nicht bedrohen kann.

Wie gehst du mit den Sorgen der Menschen um, die durch die Vielzahl an Konflikten auf der Welt zunehmend verunsichert sind?

Unsicherheit und Sorgen vor einer militärischen Eskalation – auch auf unserem Kontinent – sind in der Bevölkerung präsent. Uns ist bewusst: Die Veränderungen der europäischen Sicherheitsarchitektur sind so umfassend wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Das erfordert eine gesellschaftliche Debatte über die Bedrohungslage und die notwendigen Schritte für unsere Sicherheit, zum Erhalt unserer Freiheit und zur Sicherung von Frieden in Europa. Diese Debatte muss offen geführt werden. Sie sollte nicht von Konfrontation geprägt sein, sondern Raum für unterschiedliche Perspektiven und Argumente lassen. Als SPD werden wir in den kommenden Wochen und Monaten weiterhin Raum für den Dialog mit unseren Mitgliedern, aber auch mit Bürgerinnen und Bürgern schaffen.

Es stehen wohl harte Haushaltsverhandlungen bevor. Wie wirkt sich das mit Blick auf die Sicherheitspolitik aus?

Wir müssen unsere Verteidigungsfähigkeit wiedererlangen. Das wird natürlich Geld kosten. Bis 2025 schöpfen wir noch aus dem Sondervermögen, doch dann ist eine Erhöhung des Verteidigungsetats notwendig. Klar ist dabei auch, dass wir soziale Sicherheit nicht gegen äußere Sicherheit ausspielen werden. Wir wollen Wohnungen bauen, Schulen modernisieren und Schienen reparieren sowie die Gesellschaften und Wirtschaften auf unserem europäischen Kontinent bis 2050 klimaneutral ausrichten. Kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen ist eine Reform der Schuldenbremse mittelfristig unausweichlich, genauso wie Steuererhöhungen auf Vermögen und höhere Einkommen.

 

04.12.2023 in Aktuelles

Der AG 60 plus Landesvorstand traf sich mit dem Kreisverband Heilbronn Stadt & Land zum Thema: Mehr Diplomatie wagen

 

Unser Bundesvorsitzender, Lothar Binding und unser Landesvorsitzender, Rainer Arnold (beide ehemalige MdBs) referierten und diskutierten über den völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine. Zur Sprache kam u.a.: Waffenlieferungen, Diplomatie, Waffenstillstand, sowie über die Frage, ob es ein friedliches Europa mit oder ohne Putin geben kann.

Wir alle wollen Frieden! Aber wir kommen wir dahin? Im Kreml regieren nur die Feinde der Demokratie. Es ist schwierig einem Waffenstillstand auf diplomatischen Weg zu erreichen. Trotzdem müssen die Diplomaten und Geheimdienste aber daran intensiv arbeiten. Dieses fürchterliche Blutvergießen auf beiden Seiten gehört gestoppt. Die Teilnehmer beschäftigten sich mit der Frage, wer soll verhandeln. Präsident Selenskyj wird nicht allein entscheiden können. Die USA werden sich einmischen und Russland muss ohne Gesichtsverlust aus diesem Krieg herauskommen. Dies auch unter dem Aspekt, dass Russland eine Atommacht ist und auch in Deutschland Atombomben stationiert sind. 
Nach dem Scheitern des Minsk 2 Abkommens wird sich die Ukraine kein weiteres Mal auf ein solches Abkommen einlassen. Sonst wäre die künftige Gefahr einer erneuten kriegerischen Auseinandersetzung gegeben.

Was ist mit den von Russland besetzten Gebieten? Die Ukrainer wollen nicht so leben, wie die Russen in Russland.

Die Zeiten der Entspannungspolitik von Willy Brandt für einen „Wandel durch Annäherung“ sind vorbei und werden nicht wieder kommen. (Text:Ute May; Foto: Richard Mall)

 

21.07.2021 in Aktuelles

60 plus im Gespräch - Bustour mit dem Bundesvorsitzenden Lothar Binding

 

Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft SPD 60 plus, Lothar Binding MdB, ist im Rahmen seine bundesweiten Dialogtour auch in Baden-Württemberg unterwegs und macht hierzulande Station in Offenburg, Karlsruhe, Pforzheim, Stuttgart, Sindelfingen, Kirchheim/Teck, Emmendingen, Freiburg und Lörrach. 

Ziel ist es, mit allen ins Gespräch zu kommen, herauszufinden, was den Leuten wichtig ist, und ihnen zu sagen, was die SPD vorhat. Beim jeweils ca. zweistündigen Aufenthalt kommen auch ein 3D-Säulendiagramm zur Vermögensverteilung und ein Glücksrad für die Wohnungssuche zum Einsatz. Am Infostand zum Zukunftsprogramm der SPD mit dabei sind meist auch die regionalen Bundestagskandidat*innen, die stets zahlreiche Interessierte begrüßen können.